
Die Arbeitsfähigkeit stärken: Chancen des Work Ability Index (WAI) für Unternehmen und Beschäftigte
Inhalt

Älter werdende Belegschaften, der Fachkräftemangel und die Rente ab 67 werfen verstärkt die Frage auf, wie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten möglichst über die gesamte Erwerbsbiografie erhalten werden kann. Als eine Art Frühwarnsystem bietet der in den 1980er Jahren in Finnland von Ilmarinen und seinem Team am Finnish Institute of Occupational Health (FIOH) entwickelte Work Ability Index — WAI — Unternehmen und Beschäftigten die Chance, aktuelle sowie sich abzeichnende Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Maßnahmen zur Wiederherstellung und zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit zu ergreifen. Der WAI, ein durch Längs- und Querschnittstudien validiertes Instrument, kann die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung wirksam ergänzen.
Das Konzept der Arbeitsfähigkeit
Ilmarinen definiert Arbeitsfähigkeit als die Fähigkeit eines Menschen, eine gegebene Arbeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bewältigen [6]. Eine Reihe von Faktoren beeinflusst die Arbeitsfähigkeit, wie das »Haus der Arbeitsfähigkeit« anschaulich zeigt (Abbildung 1). Die Faktoren sind sowohl dem persönlichen und privaten Bereich als auch dem Bereich Arbeit zuzuordnen [6].
Das Haus der Arbeitsfähigkeit besteht aus vier Stockwerken, die miteinander in einem Zusammenhang stehen, wie die Treppe symbolisiert. Die Stockwerke bilden die Faktoren ab, die die Arbeitsfähigkeit eines Menschen bestimmen. Auch das Umfeld (Familie, soziale Kontakte, regionale Umgebung), in dem das Haus der Arbeitsfähigkeit steht, wirkt auf die Arbeitsfähigkeit ein [6].
- Das Fundament für eine gute Arbeitsfähigkeit bilden die physische und psychische Gesundheit und die Leistungsfähigkeit.
- Im zweiten Stockwerk sind die Kompetenzen (Wissen und Fertigkeiten) zur Bewältigung der Arbeitsanforderungen angesiedelt. Vor allem in der heutigen Dynamik der Arbeitswelt ist lebenslanges Lernen zur Aktualisierung von Wissen z. B. um digitale Kompetenzen und Fertigkeiten unabdingbar.
- Das dritte Stockwerk enthält die Werte, Einstellungen und Motivation.
- Im obersten Stockwerk ist die Arbeit angesiedelt. Hier spielen Arbeitsinhalte, Arbeitsumfeld, Arbeitsorganisation und die Führung eine entscheidende Rolle.
Der Work Ability Index – Arbeitsfähigkeitsindex
Der Work Ability Index — WAI (auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex bezeichnet), ist ein Fragebogen-Instrument, mit dessen Hilfe die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten »gemessen« werden kann mit dem Ziel, diese fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Der WAI baut auf dem Konzept der Arbeitsfähigkeit, das durch das »Haus der Arbeitsfähigkeit « visualisiert wird, auf. Mit der Beantwortung der Fragen gibt der/die Beschäftigte eine subjektive Einschätzung seiner aktuellen und künftigen Arbeitsfähigkeit. Entweder füllt der/die Beschäftigte den Fragebogen selber aus oder die Beantwortung erfolgt im Rahmen eines Gesprächs mit dem/der Betriebsarzt/Betriebsärztin. Der Fragebogen, der in einer Lang- und Kurzversion existiert, kann auf der Internetseite des WAI-Netzwerkes (2003 gegründet) abgerufen werden [7].
Bei der Anwendung des WAI sind die folgenden Rahmenbedingungen unbedingt zu beachten: Anwendung nur mit Unterstützung durch den/die Betriebsarzt/Betriebsärztin bzw. das betriebsärztliche Personal, Wahrung der Vertraulichkeit der Daten, freiwillige Teilnahme des/der Beschäftigten, vorherige Information des/der Beschäftigten über die Ziele des WAI, Einwilligung des/der Beschäftigten zur Aufnahme des Indexpunktwertes
und Befundes in die Gesundheitsakte [1, 2, 3].
Anwendung des Work Ability Index — Chancen für Unternehmen
Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen für den Einsatz des WAI (Vertraulichkeit der Daten, Freiwilligkeit des/der Beschäftigten) bietet die Anwendung des Instruments Unternehmen und Beschäftigten zahlreiche Chancen [1, 3, 4, 5, 8].
- Der WAI gibt Hinweise auf aktuelle und sich abzeichnende Arbeitsunfähigkeit von Beschäftigten, so dass rechtzeitig verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen zur Verbesserung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit — auch im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) — eingeleitet werden können.
- Lange Ausfallzeiten durch länger andauernde Arbeitsunfähigkeit oder ein vorzeitiger Berufsausstieg können vermieden bzw. minimiert und auf diese Weise dem Verlust von Fachkräften entgegengewirkt werden.
- Produktionsengpässe infolge langer Ausfallzeiten von Beschäftigten können vermieden bzw. minimiert werden.
- Auf diese Weise trägt die Anwendung des WAI zur Personalbindung bei; Zeit und Kosten für die Personalrekrutierung und Einarbeitung von neuem Personal entfallen.
- Der WAI sowie das Konzept (Haus) der Arbeitsfähigkeit sind gut verständlich und daher geeignet, Beschäftigten bewusst zu machen, was sie selber für ihre Gesundheit tun müssen und tun können.
- Das Instrument ist einfach und praktikabel. Mitglieder des WAI-Netzwerkes können eine Software nutzen [8].
Anwendung des Work Ability Index — Chancen für Beschäftigte
- Durch frühzeitige Intervention zur Stärkung oder Wiederherstellung der Arbeits- und (gesundheitlichen) Leistungsfähigkeit kann eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit vermieden werden.
- Der/die Beschäftigte ist nicht allein gelassen, sondern erhält professionelle Unterstützung und Hilfe durch den/die Betriebsarzt/Betriebsärztin, den betriebsärztlichen Dienst oder, im Rahmen neuer Wege des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), durch den Arbeitsfähigkeitscoach.
- Die Teilhabe am Arbeitsleben bleibt gewahrt; die Arbeit kann wieder bewältigt werden; eine gute Arbeitsfähigkeit wirkt sich in der Regel auch positiv auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität aus.
- Verhältnispräventive Maßnahmen durch entsprechende Gestaltung der Arbeitsbedingungen tragen dazu bei, Belastungen (z. B. durch technische Hilfsmittel) zu minimieren und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass der/die Beschäftigte die Arbeit wieder ausführen kann. Ggf. besteht eine Maßnahme auch darin, dem/der Beschäftigten eine Aufgabe zu übertragen, die er/sie mit einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit bewältigen kann [5].
- Verhaltenspräventive Maßnahmen sind geeignet, das Bewusstsein für die eigene Gesundheit, die persönliche Gesundheitskompetenz und Verantwortung für den Erhalt der Gesundheit zu fördern; so kann der/die Beschäftigte seinen/ihren Beitrag zum Erhalt seiner/ihrer Arbeitsfähigkeit leisten.
Ihre Ansprechpartnerin

Nora Johanna Schüth M. Sc.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Telefon: +49 211 542263-45
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Literatur
[1] BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg) (2013) Why WAI? — Der Work Ability Index im Einsatz für Arbeitsfähigkeit und Prävention. Erfahrungsberichte aus der Praxis. 5. Auflage. Bonifatius GmbH, Paderborn. http://www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/A51.html. Zugegriffen: 18. Mai 2022
[2] Breutmann N, Adenauer S (2007) Arbeitsfähigkeit messen und fördern: der Work Ability Index. Angewandte Arbeitswissenschaft (192):1-15
[3] Hasselhorn HM, Freude G (2007) Der Work Ability Index — ein Leitfaden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) (Hrsg) Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sonderschrift, S 87. 1. Auflage. Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bremerhaven. http://www.baua.de/de/Publikationen/Schriftenreihe/Sonderschriften/2000-/S87.html. Zugegriffen: 18. Mai 2022
[4] Mathiaszyk LP (2014) Arbeitsfähigkeit messen und erhalten mit dem Work Ability Index (WAI). Vortrag auf dem Gesundheitsforum der Freien Universität Berlin am 18.09.2014. als pdf im Internet: https://ssl2.cms.fu-berlin.de/fu-berlin/sites/weiterbildung/PM_weiterbildungsprogramm/pdf/gf/GESUNDHEITSFORUM2014_WEB.pdf. Zugegriffen:18. Mai 2022
[5] Morschhäuser M, Matthäi I (o. J.) Work Ability Index (WAI) — Arbeitsbewältigungsindex. LagO Länger arbeiten in gesunden Organisationen. Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e. V. Saarbrücken (iso). https://inqa.de/SharedDocs/downloads/webshop/laenger-arbeit-in-gesunden-organisationen-lago?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 18. Mai 2022
[6] Tempel J, Ilmarinen J (2013) Arbeitsleben 2025. Das Haus der Arbeitsfähigkeit im Unternehmen bauen. Giesert M (Hrsg) VSA Verlag, Hamburg
[7] INQA WAI-Netzwerk. https://www.wainetzwerk.de/de/der-work-ability-index-(wai)-690.html. Zugegriffen: 18. Mai 2022
[8] INQA WAI-Netzwerk (Hrsg) (2015) WAI-Manual. Anwendung des Work-Ability Index. https://www.arbeitundbalance.de/downloads/WAI-Manual.pdf. Zugegriffen: 18. Mai 2022



