Exoskelette
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Physische Assistenzsysteme an Produktionsarbeitsplätzen
Ursprünglich für militärische und medizinische Anwendungen konzipiert, werden Exoskelette zunehmend auch für den Einsatz in der Produktion, Montage und Logistik interessant. Exoskelette haben das Potenzial, die durch Heben und Tragen schwerer Lasten und einseitige Körperhaltungen verursachte physische Belastung des Menschen zu reduzieren. Dadurch können Exoskelette dazu beitragen, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten an Produktionsarbeitsplätzen zu erhalten bzw. auch leistungsgewandelte Personen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Mit dem Einsatz von Exoskeletten sind allerdings auch Herausforderungen verbunden, insbesondere im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitsplanung.
Beschreibung
Exoskelette sind am Körper getragene, physisch unterstützende technische Assistenzsysteme. Sie werden hauptsächlich verwendet, um Bewegungen des Menschen zu Komfortzwecken zu erleichtern, Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz, die zum Beispiel zu Rückenerkrankungen führen können, zu vermeiden und medizinische Rehabilitationsmaßnahmen zu begleiten. Exoskelette kombinieren die ausgeprägten Sensomotorik- und Kognitionsfähigkeiten und die hohe Flexibilität des Menschen mit der hohen Wiederholgenauigkeit und Ausdauer der Technik.
Exoskelette wurden zunächst für militärische Anwendungen und die Weltraumrobotik bzw. Teleoperationen entwickelt. Eine Weiterentwicklung fand dann für die Rehabilitation und Unterstützung bewegungseingeschränkter Menschen statt. In jüngster Zeit werden Exoskelette auch für Unternehmen der produzierenden Industrie interessant. Dort werden sie vermehrt als körpergetragene Hebehilfen für die Kraftunterstützung und für ergonomisches Arbeiten auch bei physisch anspruchsvollen Aufgaben durch Entlastung des ganzen Körpers oder einzelner beanspruchter Körperteile eingesetzt.
Es werden verschiedene Formen von Exoskeletten unterschieden, z. B. nach ihrer Komplexität oder ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung [1]. Exoskelette, die den Anwendenden eine aktive mechatronische Unterstützung bei einzelnen oder kombinierten physischen Belastungsfaktoren bieten, werden als »aktive Exoskelette « bezeichnet. Sie weisen eine hohe Komplexität auf, da sie motorbetrieben sind, über eine Stromversorgung verfügen und meist modular aufgebaut und erweiterbar sind. Bestimmungsgemäß können aktive Exoskelette zur Bewegungserleichterung (Komfort), zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz (z. B. bei Rückenerkrankungen) oder zur medizinischen Behandlung (z. B. Reha-Maßnahmen nach Querschnittslähmung) verwendet werden.
Weniger komplexe »passive Exoskelette« hingegen unterstützen die Anwendenden – meist nur zur Bewegungserleichterung (Komfort) – durch eine mechanisch wirkende muskelkraftbetriebene Federunterstützung ohne Stromversorgung bei ihren Körperbewegungen oder Körperhaltungen.
Aktuelle Verbreitung
Die International Federation of Robotics (IFR) verzeichnet in ihrer jährlichen World Robotics Studie eine dynamische Entwicklung des Marktes für Exoskelette (engl. powered human exoskeletons, dt. körpergetragene (Roboter-)Systeme). Wurden 2015 weltweit ca. 5 000 Exoskelette verkauft, stieg der Absatz 2016 um 20 % auf ca. 6 000 Einheiten und 2017 um weitere 35 % auf schätzungsweise 8 100 Einheiten weltweit [2]. Für die Jahre 2018 bis 2020 prognostiziert die IFR einen weltweiten Absatz von rund 13 500 Einheiten pro Jahr. Monetär beziffert steigt das Marktvolumen für Exoskelette von derzeit (2016) 96 Millionen US-Dollar pro Jahr bis 2026 auf ca. 4,6 Milliarden US-Dollar pro Jahr [3].
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Marktforschungsgesellschaft ABI Research. Laut ihrer Studie [4] werden derzeit weltweit 7 000 Exoskelette (mechanische Unterstützungssysteme) benutzt. Prognostiziert wird eine Wachstumsrate von rund 40 %, d. h., im Jahr 2028 sollen schon 300 000 Systeme verkauft werden bzw. sich im Einsatz befinden, 50 % davon in der Industrie.
Anwendungsfelder
Anwendungsgebiete für Exoskelette finden sich im Produktionsbereich sowohl in der Fertigung, Montage als auch in der Intralogistik und in Lagerhausarbeiten. Ihr Einsatz empfiehlt sich grundsätzlich an nicht-stationären Arbeitsplätzen für Tätigkeiten, die sich durch Heben und Tragen schwerer Lasten auszeichnen und die gleichzeitig – beispielsweise aufgrund eingeschränkter Bau- oder Fügeräume – den Einsatz technischer Hilfsmittel wie Gabelstapler, Kräne oder Lastenmanipulatoren ausschließen.
Anbieter und Produkte für Produktionsarbeitsplätze (Auszug)
- Panasonic/ActiveLink (http://activelink.co.jp/en)
- Kraftanzug: Gewicht: 6 kg; Rücken, Schenkel, Füße; Traglast: Zugewinn +15 kg
- Kraftanzug »Ninja«: Gewicht: 18 kg; Traglast: Zugewinn +15 kg
- Kraftanzug: Traglast: 110 kg
- TU München/BMW
- Orthopädischer Daumenhandschuh
- Noonee/Audi (http://noonee.com)
- Kraftanzug »Chairless Chair«: Gewicht: 2 kg
- Gobio Robot (www.gobio-robot.com)
- Passives Exoskelett »Laevo«
- Cyberdyne/University of Tsukuba (http://www.cyberdyne.jp)
- 1 Kraftanzug »HAL«: Unterer Limbus
- 2 Kraftanzüge »HAL«: Hüften; Gewicht: 3 kg,
- Kraftanzug »HAL«: Arme oder Beine; Gewicht: 2 x 1,5 kg
- Cyberdyne/Omron (www.omron.com)
- SuitX (eh. US Bionics)/University of California, Berkeley (Homayoon Kazerooni)
- 2 Kraftanzüge »Phoenix Suit«: für Rehabilitation und Produktion
- Harvard University (Wyss Institute: Conor Walsh, Robert Wood)
- US-Militär/US-Militärforschungsbehörde DARPA
- ReWalk Robotics (http://rewalk.com)
- ReWalk Personal: Hilfsapparatur für Menschen mit Rückenmarksschäden
- ReWalk Rehabilitation: Hilfsapparatur für Menschen mit Rückenmarksschäden
- SRI International
- Kraftanzug »Superflex«: Beine, Arme und Torso
- Hyundai
- Duke University, North Carolina (Miguel Nicolelis)
- Elektronische Gehhilfe
- Anna University, Indien (S.T.M. Veerabahu)
- Elektronische Gehhilfe
- Ekso Bionics
- Elektronische Gehhilfe
- Rex Bionics
- Elektronische Gehhilfe »Rex«
- DFKI/rehaworks (Projekt »RECUPERA-Reha«)
- Robotergestützte Rehabilitation neurologischer Erkrankungen
- DFKI (Projekt »VI-BOT«)
- MMI-Roboter »CAPIO«: Gewicht: 13 kg; Arme, Oberkörper
Abb. 2: Exoskelette entlasten Mitarbeiter zum Beispiel bei Über-Kopf-Arbeiten. Foto: © Fraunhofer IPA/Foto: Ludmilla Parsyak
Auswirkung auf die Arbeitsorganisation
Der Einsatz von Exoskeletten im Produktionsbereich reduziert die physische Belastung des Menschen, die durch Heben und Tragen schwerer Lasten oder gebeugte Haltungen – sogenannte Zwangshaltungen – entstehen und zu gesundheitlichen Beschwerden der Beschäftigten führen kann. Auch einseitig belastende Tätigkeiten, wie zum Beispiel langes Stehen oder ständige Rotationsbewegungen des Beckens, werden durch Exoskelette mechanisch unterstützt, wodurch die physische Belastung reduziert wird. Exoskelette bieten damit die Chance, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten und zu verbessern. Darüber hinaus können körperlich eingeschränkte bzw. leistungsgewandelte Beschäftigte durch Exoskelette derart unterstützt werden, dass sie für Tätigkeiten befähigt werden, die sie ohne physisch-technische Assistenz nicht durchführen könnten. Allerdings müssen Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten weiter erforscht werden [5].
Hinweise zur Umsetzung
Trotz positiver Effekte sollte der Einsatz eines Exoskeletts am Produktionsarbeitsplatz sorgfältig vorbereitet und geplant werden. Aktuell werden Exoskelette als personenbezogene bzw. personengebundene Maßnahme eingeordnet [1]. Daher ist der Arbeitgeber gemäß Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die durch ein Exoskelett am Arbeitsplatz möglicherweise entstehenden Gefährdungen für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu vermeiden. Der Arbeitgeber hat mit einer Gefährdungsbeurteilung Gefährdungen zu ermitteln und zu bewerten, muss entsprechende wirksame Schutzmaßnahmen ableiten und umsetzen und die Beschäftigten in der Benutzung des Exoskeletts unterweisen. Mögliche Gefährdungen, die von Exoskeletten ausgehen und die zu ungünstigen physischen oder auch psychischen Belastungskonstellationen oder zu Unfällen führen können, sind beispielsweise Fehlfunktionen der Steuerung oder eine Fehlbedienung des Exoskeletts, Einengung oder Fremdsteuerung, Stolper- oder Sturzunfälle aufgrund des zusätzlichen Gewichts oder der ausladenden mechanischen Komponenten, eine fehlende Notbefehlseinrichtung oder mangelhafte ergonomische Anpassung des Exoskeletts an die Anwendenden.
Auch wenn Exoskelette zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten und Chancen bieten, lässt sich das Schutzziel, die physische Belastung des Menschen zu reduzieren, in den meisten Fällen schon durch eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung realisieren – insbesondere an stationären Produktionsarbeitsplätzen. Dazu ist bei der Arbeitsplanung sinnvollerweise das Prinzip Substitution – Technik – Organisation – Personal (STOP) anzuwenden. Das STOP-Prinzip legt die Hierarchie der Schutzmaßnahmen fest: An erster Stelle kann geprüft werden, ob Anlagen oder Arbeitsmittel durch andere ersetzt werden können. Häufig ist das nicht möglich, sodass im Folgenden geprüft werden muss, ob Gefährdungen durch technische Maßnahmen direkt an der Quelle beseitigt oder entschärft werden können. Zur Verringerung der physischen Belastung des Menschen durch gebeugte Haltungen oder Heben und Tragen schwerer Lasten können beispielsweise Lastenmanipulatoren, Gabelhubwagen, Scherenhubtische, Vakuumheber oder höhenverstellbare Arbeitstische eingesetzt werden. Ergänzend zu diesen technischen Maßnahmen können organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, zum Beispiel eine Beschränkung der Tätigkeitsdauer bei Arbeiten mit hoher körperlicher Belastung. Erst an letzter Stelle sollten personenbezogene Maßnahmen ergriffen werden, zum Beispiel die Benutzung einer persönlichen Schutzausrüstung. Da Exoskelette tendenziell als personenbezogene bzw. personengebundene Maßnahme ein geordnet werden, sollten sie erst dann eingesetzt werden, wenn substituierende, technische und organisatorische Maßnahmen nicht zum vollständigen Erreichen des gewünschten Schutzziels führen. In diesem Fall ist der Einsatz eines Exoskelettes eine sinnvolle personenbezogene Maßnahme.
Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) empfiehlt folgenden Prüfungsprozess zur betrieblichen Nutzung eines Exoskeletts [6]:
1. Relevanzprüfung
1.1. Belastung ermitteln: Gefährdungsbeurteilung physische Belastung für die Tätigkeit durchführen
1.2. Schutzmaßnahmen nach TOP prüfen und planen: Technische und organisatorische Maßnahmen nicht möglich oder ausgeschöpft?
2. Nutzungsprüfung und -planung
2.1. Planung der Nutzung des Exoskeletts: Produktrecherche von Exoskeletten gemäß bestimmungsgerechter Verwendung durchführen
2.2. Entsprechendes Exoskelett am Markt verfügbar? Kontaktaufnahme zu Hersteller bzgl. Detailklärung und Planung eines Praxistests oder Pilotprojekts
2.3. Praxistest bzw. Pilotprojekt planen und durchführen
3. Überprüfung
3.1. Dokumentieren und Evaluieren: Beim Piloteinsatz des Exoskeletts die Relevanz und Wirksamkeit prüfen
3.2. Beschaffung des Exoskeletts: Betriebsinternes Pflichten- und Lastenheft für die Beschaffung des Exoskeletts erstellen
Quellennachweise und Literatur
[1] BGHM Berufsgenossenschaft Holz und Metall (2017) Einsatz von Exoskeletten an (gewerblichen) Arbeitsplätzen; BGHM FAQ-Liste. www.bghm.de/fileadmin/user_upload/Arbeitsschuetzer/Fachthemen/Fachinformationen/FI-0059_Einsatz-von-Exoskeletten-an-gewerblichen-Arbeitsplaetzen.pdf
[2] IFR International Federation of Robotics (2017) World Robotics 2017 Service Robots
[3] BIS Research (2017) Global Wearable Robotic Exoskeleton Market – Analysis and Forecast (2017-2026)
[4] ABI Research (2015) Robotic Exoskeletons: Classes, Markets and Applications. Report MD-RBEX-101, Oyster Bay, New York, USA
[5] Steinhilber B, Seibt R, Luger T (2018) Einsatz von Exoskeletten im beruflichen Kontext – Wirkung und Nebenwirkung. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 53: 662-664
[6] BGHM Berufsgenossenschaft Holz und Metall (in Druck) Checkliste zum betrieblichen Einsatz von Exoskeletten
Fachbereich Handel und Logistik der DGUV (2018) Einsatz von Exoskeletten an gewerblichen Arbeitsplätzen. publikationen.dguv.de/regelwerk/fachbereich-aktuell/handel-und-logistik/3579/fbhl-006-einsatz-von-exoskeletten-an-gewerblichen-arbeitsplaetzen
ABI Research (2017) Robotic Exoskeletons. Technology Analysis Report PT-1192, Oyster Bay, New York, USA
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