Digitale Gefährdungsbeurteilung

Einführung und Begriffe

Durch den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien und Hilfsmittel ergeben sich neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Geschäftsmodellen, Produkten, Dienstleistungen und Prozessen. Durch die neuen technologischen Möglichkeiten kann eine Verknüpfung von physischer und virtueller (Arbeits-)Welt realisiert werden. Dies zieht Veränderungen sowohl für den arbeitenden Menschen als auch für Arbeitsmittel und Produkte nach sich. Die Nutzung digitaler Technologien kann zu einer Steigerung von Produktivität, Qualität und Flexibilität führen. Ebenso können Beschäftigte sowohl körperlich (z. B. durch Exoskelette; Offensive Mittelstand 2018a; Terstegen & Sandrock 2018) als auch kognitiv (z. B. durch mobile Endgeräte, Wearables; Apt et al. 2018) entlastet werden. Neben den Vorteilen der Digitalisierung für das Arbeitsleben können auf der anderen Seite Änderungen in Arbeitsabläufen und Tätigkeiten andere oder neue Belastungsfaktoren ergeben, die durch die Gefährdungsbeurteilung erfasst und auf ihre Gefährdung beurteilt werden müssen. Neue Technologien und die Vernetzung erfordern aber nicht nur die Betrachtung von Gefährdungen, sondern ermöglichen auch die Einbettung der Gefährdungsbeurteilung in die bestehenden Systeme und die Zusammenführung von Daten, die zu einer verbesserten Gefährdungsbeurteilung führen können.

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Was sind 4.0-Pozesse und cyber-physische Systeme?

4.0-Prozesse bezeichnen Arbeitsprozesse, die im Zusammenhang mit cyber-physischen Systemen (CPS) oder anderen autonomen technischen Systemen (wie Plattformen, Messenger-Programme) stehen.
Unter 4.0-Technologien werden Hardware und technologische Produkte (wie Assistenzmittel, Sensoren, Apps usw.) zusammengefasst, die teilweise oder vollständig durch intelligente Software (inkl. Künstlicher Intelligenz, KI) gesteuert werden. Cyber-Physical Systems (CPS) entstehen, wenn die physikalische Welt mit der virtuellen Welt, dem Cyberspace, verschmilzt. Cyber-Physical Systems sind Teil einer zukünftig global vernetzten Welt, in der Produkte, Geräte und Objekte mit eingebetteter Hardware und Software über Anwendungsgrenzen hinweg interagieren. Mithilfe von Sensoren verarbeiten diese Systeme Daten aus der physikalischen Welt und machen sie für netzbasierte Dienste verfügbar, die durch Aktoren direkt auf Vorgänge in der physikalischen Welt einwirken können. Die physikalische Welt wird durch Cyber-Physical Systems mit der virtuellen Welt zu einem Internet der Dinge, Daten und Dienste verknüpft (acatech — Deutsche Akademie der Technikwissenschaften 2011, S. 5).

Die Gefährdungsbeurteilung

Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu sorgen. Zentrales Instrument im Arbeits- und Gesundheitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung, mit der Gefährdungen entdeckt und im Idealfall komplett beseitigt werden, bevor es zu Unfällen oder anderen Beeinträchtigungen der Gesundheit der Beschäftigten kommt.
Eine Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) beinhaltet folgende Schritte (vgl. ifaa 2017):
1. Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten
2. Ermitteln der Gefährdungen
3. Beurteilen der Gefährdungen
4. Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen
5. Durchführen der Maßnahmen
6. Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen
7. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung muss dokumentiert werden.

Gefährdungsbeurteilung von 4.0-Prozessen bzw. digitalen Technologien

Eine Gefährdungsbeurteilung ist immer dann durchzuführen bzw. auf ihre Aktualität zu prüfen, wenn (in diesem Fall) die Einführung von 4.0-Prozessen, die Nutzung von intelligenter Software oder die Einführung digitaler Technologien/Hilfsmittel wesentliche Änderungen bewirkt. Ein allgemeingültiges Verfahren existiert nicht. Es empfiehlt sich ein Vorgehen analog zur Gefährdungsbeurteilung »klassischer Arbeitsplätze«. Mithilfe von Simulationstechniken, zum Beispiel virtueller Realität (VR), können Beschäftigte bedarfsgerecht und beinahe in Echtzeit unterwiesen werden — zum Beispiel in Form von Checklisten, virtuellen Werkstätten oder Dokumentationshilfen.

Wie können cyber-physische Systeme bei der Gefährdungsbeurteilung unterstützen?

Die Einbindung neuer Technologien bzw. cyber-physischer Systeme kann für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ergänzend genutzt werden, indem zum Beispiel durch Sensoren erfasst wird,

  • ob Arbeitsmittel den sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen.
  • ob Arbeitsmittel verwendet werden, die nicht geeignet oder genehmigt sind.
  • welche Gefahrstoffe benutzt werden und welche Expositionen entstehen.
  • ob die vorgeschriebene Persönliche Schutzausrüstung (PSA) verwendet wird (vgl. Offensive Mittelstand 2018b).

Dabei sind immer Aspekte des Datenschutzes zu berücksichtigen. Damit cyber-physische Systeme in die Gefährdungsbeurteilung integriert werden können, sollte bereits bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln, persönlicher Schutzausrüstungen usw. darauf geachtet werden, dass zum Beispiel die entsprechenden Sensoren Daten erfassen, die für die Gefährdungsbeurteilung verwertbar sind

Welche Chancen bietet die Gefährdungsbeurteilung?

Mit der Gefährdungsbeurteilung können konkrete Verbesserungsmöglichkeiten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz aufgezeigt werden. Beispiele für den Nutzen der Gefährdungsbeurteilung unter Einbindung von 4.0-Technologien sind (vgl. Offensive Mittelstand 2018b):

  • Frühzeitiges Erkennen von Gefährdungen und Störungen durch den Einsatz von smarten Arbeitsmitteln und Arbeitsstoffen sowie digitalen Technologien.
  • Rechtzeitige Berücksichtigung von Datensicherheit und Datenschutz.
  • Rechtzeitiges Festlegen von Anforderungen an die Datenqualität und Datenerfassung, die für einen sicheren und verlässlichen 4.0-Prozess erforderlich sind.
  • Risikofreie Erprobung von 4.0-Technologien durch den Einsatz von Simulationstechniken, zum Beispiel Virtual Reality.

Die an der Gefährdungsbeurteilung beteiligten Akteure sollten rechtzeitig eingebunden werden. Darüber hinaus sollte die Gefährdungsbeurteilung bereits in der Beschaffungsphase thematisiert werden.
Eine sorgfältig durchgeführte Gefährdungsbeurteilung ist ein wesentlicher Baustein für den präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz. Daher ist es sowohl für Unternehmen als auch für die Beschäftigten entscheidend, dass die Gefährdungsbeurteilung rechtzeitig, vollständig und gewissenhaft durchgeführt wird und die daraus abgeleiteten Maßnahmen nach ihrer Ausführung einer Wirksamkeitsprüfung unterzogen werden. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass — gerade bei der Einführung neuer Technologien — Vorbehalte der Beschäftigten rechtzeitig aufgegriffen und durch beispielsweise Workshopformate abgebaut werden (vgl. Schüth & Weber 2019)

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Stephan Sandrock Leitung Fachbereich Arbeits- und Leistungsfähigkeit ifaa

Dr. rer. pol.
Stephan Sandrock

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Catharina Stahn Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachbereich Arbeits- und Leistungsfähigkeit ifaa

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